Um Antwort wird gebeten: Frontal21 und der Klimwandel im Senegal

UPDATE: Neues Antwortschreiben des ZDF vom 6.6.2016

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An: Frontal21
Von: Sebastian Lüning

Gesendet: 18.1.2016

 

Sehr geehrte Redaktion,

Sie haben am 24.11.2015 in Ihrer Sendung im Vorfeld der Pariser Klimakonferenz über den Klimawandel berichtet. Zur Einstimmung auf das Thema zeigten Sie einen Einspielbeitrag aus dem Senegal. In diesem Zusammenhang wird behauptet, der Ort Sangomar wäre im Zuge des Klimawandels zur Insel geworden. Als Geologe kenne ich diesen Küstentyp jedoch ziemlich gut. Es handelt sich um einen Küstenstreifen mit starken küstenparallelen Strömungen, die zu ständigen Verschiebungen der Sandzungen führen und episodische Durchbrüche erzeugen. Eine ähnliche Situation gibt es auf den Ostfriesischen Inseln. Auf Wikipedia ist die Situation für das im Beitrag erwähnte Sangomar korrekt wiedergegeben:
https://en.wikipedia.org/wiki/Point_of_Sangomar

The rupture in Sangomar is the result of a natural process for the past few thousand years, which has also been noticed by sailors. In 1891, it was found that the gap had widened from 25 to 30m since 1886. In the twentieth century, several breaks were reported including: 1909, 1928, 1960, 1970, etc. The latest occurred on 27 February 1987 at a place called Lagoba. A year later, the gap was reported to be 1 km wide, and ten years later, about 4 km.Several camps and buildings were destroyed. The fish packing plant at Djifer was closed in 1996. The village located 4 km north of the first breakpoint is increasingly threatened and authorities are considering the evacuation of its inhabitants to the new port of Diakhanor.Parallel to the phenomenon of erosion, occurs a process of sedimentation: the extremity of the new Southern Island of Sangomar increases by 100 m per annum to the south and, on the opposite bank, the outskirts of the villages of Niodior and Dionewar are silting considerably, reducing traffic of vessels and contributing to the isolation of populations.

Ich finde es erstaunlich, dass Sie Ihren Zuschauern fälschlicherweise einen Zusammenhang mit dem Klimawandel vorgeben. Das hätte sich mit ein wenig Googlen oder den richtigen wissenschaftlichen Beratern leicht vermeiden lassen können. Auch ist der Meeresspiegel im Senegal laut Dakar-Küstenpegel nicht außergewöhnlich stark angestiegen.
http://www.psmsl.org/data/obtaining/stations/1816.php

Zudem ist Küstenerosion ein ganz normales Phänomen, unabhängig vom Klimawandel.

Desweiteren behaupten Sie im Beitrag, es gäbe immer schlimmere Stürme und heftigere Regengüsse im Senegal, die alle Folge des Klimawandels wären. Könnten Sie mir bitte die entsprechenden wissenschaftlichen Arbeiten angeben, die eine Zunahme der Stürme im Senegal belegen würde? Ansonsten wären dies unbelegte Behauptungen, die in einer analytischen Sendung wie Frontal21 nichts zu suchen haben.

Abschließend wird noch behauptet, dass extreme Regenfälle im Senegal zugenommen hätten. Auch dies kann von der Wissenschaft nicht bestätigt werden. Sarr et al. 2015 fanden keinen belastbaren Trend:
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2214581815000646

Gerade im Themenfeld Klimawandel sollten die berichteten Fakten stimmen. Das Thema ist zu wichtig und gesellschaftspolitisch sensitiv, als dass Mutmaßungen oder persönliche Meinungen die Grundlage für die Diskussion bilden könnten. Es wäre wichtig, dass Sie die meiner Meinung nach fehlerhafte Darstellung in einer Ihrer zukünftigen Sendungen korrigieren. Die Zuschauer verlassen sich auf die Integrität Ihrer Analysen, die jedoch in diesem Fall leider nicht gegeben war.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. habil. Sebastian Lüning

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An: Dr. Sebastian Lüning
Von: Dr. Peter Frey, ZDF-Chefredakteur

Gesendet: 18.4.2016

Inhaltliche Zusammenfassung:

Dr. Frey erklärt, man habe den Sendebeitrag nocheinmal überprüft, habe aber keine Fehler feststellen können. Die Redaktion habe sich auf Aussagen von Dr. Koko Warner vom Institute for Environment and Human Security verlassen. Dr. Warner hätte auch Studien genannt (die Dr. Frey jedoch leider nicht namentlich zitiert), die den Einfluss des Klimawandels auf die Küste des Senegals angeblich belegen würden.

Desweiteren habe der ZDF-Kollege Bernd Reufels die Lokalbevölkerung und Umweltschützer in der Region befragt, die allesamt eine Zunahme der Küstenerosion in letzter Zeit beklagt hätten. Weiterhin hätte die Konrad-Adenauer-Stiftung in ihrem Klimareport 2014 den Senegal als eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern genannt, insbesondere durch Küstenerosion und Meeresspiegelanstieg.  

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Wir danken Dr. Frey für seine Antwort und wollen seinen Hinweise gerne nachgehen.

1) Wer ist Koko Warner?
Dr. Warner saß bis April 2016 im Vorstand der sogenannten „Munich Climate Insurance Initiative„, die eng mit der Munich Re verbandelt ist. Zu ihren Vorstandskollegen gehörte u.a. Peter Hoeppe, der als Munich Re-Angestellter ein großes Interesse daran hat, die Klimagefahr möchst dramatish aussehen zu lassen, da dies das Extremwetter-Versicherungsgeschäft kräftig ankurbelt. Warner ist Ökonomin, keine Naturwissenschaftlerin. In ihren Projekten arbeitet sie vor allem über ökonomische und gesellschaftliche Klimawandelfolgen. Insofern sind Warners Hinweise zu angeblichen Klimaschäden im Senegal mit Vorsicht zu genießen.

 2) Was ist das Institute for Environment and Human Security?
Ein Institut der UNO in Bonn, an dem Dr. Warner seit April 2016 als ‚Manager‘ tätig ist.

3) Befragung von Landbevölkerung und Umweltschützern ist keine etablierte wissenschaftliche Methode. Das Gedächtnis der Menschen ist allgemein begrenzt und überhöht meist die Ereignisse der letzten Jahre. Stichwort „Früher war alles besser“, z.B. hier und hier.

4) Klimareport 2014 der Konrad-Adenauer-Stiftung
Das pdf des Report gibt es hier. Das Senegal-Kapitel findet sich auf den Seiten 93-96. Geschrieben wurde es von Dr. Ute Gierczynski-Bocandé von der Konrad-Adenauer-Stiftung, studiert und promoviert in französischer und deutscher Literatur und Sprache, Afrikanistik, und Pädagogik. Die Autorin ist keine Naturwissenschaftlerin. Das Senegal-Kapitel enthält keine belastbaren Aussagen hinsichtlich des Klimawandels im Senegal, insbesondere keine Verweise auf verwendete Literatur.

Die Antwort des ZDF ist daher enttäuschend. Bei den Journalistenrecherchen kam offenbar kein einziger Naturwissenschaftler zu Wort, stattdessen verließ man sich auf persönliche Meinungen von Ökonomen, Sprachwissenschaftlern, Afrikanisten, Pädagogen sowie die Lokalbevölkerung. Gerade beim hochpolitischen Thema Klimawandel ist dies absolut ungenügend, wenn es um naturwissenschaftliche Aussagen zur Klimagefahr geht. Noch schlimmer: Der Großteil der Zuschauer wird diese Qualitätsmängel bei der Berichterstattung gar nicht bemerkt und die Aussagen als Expertenmeinungen für bare Münze genommen haben. Hier muss Frontal21 dringend nachbessern.

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An: Dr. Peter Frey, ZDF-Chefredakteur
Von: Dr. Sebastian Lüning

Gesendet: 24.5.2016

 

Sehr geehrter Herr Dr. Frey,

Ganz herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort zu meiner Email bezüglich der Frontal21-Berichterstattung am 24. November 2015 zum Klimawandel im Senegal. Obwohl ich mich sehr freue, dass Sie meine Einwände ernst nehmen, war ich über den Inhalt Ihres Schreibens doch einigermaßen erschüttert. Ich hatte bemängelt, dass die naturwissenschaftlichen Grundlagen (hier: dynamische Küstenmorphologie) im Beitrag ignoriert wurden, wodurch die Klimagefahr in einem ganz falschen Licht dargestellt wurde. Die von Ihnen genannte Beraterin Dr. Koko Warner ist studierte Ökonomin, daher wohl kaum eine gute Recherchequelle für die geologische Küstendynamik. Dasselbe gilt übrigens auch für die Autorin des Senegal-Kapitels im Klimareport 2014 Konrad-Adenauer-Stiftung, die französische & deutsche Literatur und Sprache, Afrikanistik und Pädagogik studiert hat. Offenbar hat das Frontal21-Team keinen einzigen Naturwissenschaftler zur Thematik befragt. Wie gesagt, ein einziger Blick in Wikipedia hätte ausgereicht, um die Fehlinterpretation zu vermeiden. Die Befragung der Lokalbevölkerung und von Umweltaktivisten ist ebenfalls keine anerkannte wissenschaftliche Methode, insbesondere im Hinblick auf das “Früher war alles Besser-Phänomen”. http://karrierebibel.de/nostalgie-war-frueher-alles-besser/

Es ist ein Grundcharakteristikum dieses speziellen dynamischen Sand-Küstentyps, dass es zu schnellen örtlichen Änderungen bei Erosion und Ablagerung kommt. Hätte Ihr Kollege die Bevölkerung im Senegal vor 100 Jahren befragt, so hätte er vermutlich exakt dieselben Antworten bekommen. Sie erwähnen, dass Frau Dr. Warner dem Frontal21-Team Publikationen zur Küstenerosion im Senegal vorgelegt hat. Es wäre schön, wenn Sie mir diese Studien nennen könnten.

Meiner Meinung nach hat das Frontal21-Team hier schlampig recherchiert und sollte sich mit der Kritik angesichts der großen Bedeutung des Themas Klimawandels inhaltlich auseinandersetzen. Die Zuschauer haben ein Recht darauf, ausgewogen und fachlich korrekt über den Klimawandel unterrichtet zu werden, gerade auch im Vorfeld der damaligen Klimakonferenz.

Mit freundlichen Grüßen

Sebastian Lüning

 

P.S. Im Sinne der Transparenz möchte ich Sie bitten mir zu erlauben, Ihre Antwort auf kaltesonne.de bekanntzugeben

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Von: Dr. Peter Frey, ZDF-Chefredakteur
An: Dr. Sebastian Lüning

Gesendet: 6.6.2016

Sehr geehrter Herr Dr. Lüning,

vielen Dank für Ihre erneute E-Mail vom 24.05.2016, in der Sie sich mit dem Beitrag von „Frontal 21“ über das Thema „Klimawandel im Senegal“ auseinandersetzen. Sie schreiben, die Redaktion habe „hier schlampig recherchiert und sollte sich mit der Kritik angesichts der großen Bedeutung des Themas Klimawandel auseinandersetzen“. Wir haben Ihren Brief zum Anlass genommen, die von Ihnen kritisierten Punkte erneut zu überprüfen.

Der von der Redaktion gezeigte Küstenabschnitt im Senegal gehört zu den bestuntersuchtesten Regionen was die Auswirkungen von Klimaveränderungen durch die Erwärmung der Meere und den Anstieg des Meeresspiegels angeht. In diesem Zusammenhang möchten wir Sie auf Dr. Jean Laurent Kaly hinweisen, einen der renommiertesten senegalesischen Geographen, der ein multilaterales Klimaschutzprojekt leitet. Er liefert eine Liste der wesentlichen wissenschaftlichen Studien, die den Sedimentabbau, die Strömungsveränderungen und das Vordringen des Meeres über längere Zeiträume dokumentieren und belegen.

Das „ökologische Monitoringzentrum“ in Dakar („le centre du suivi écologique“) hat ebenfalls Studien hierzu durchgeführt. Auf die genannten Studien hat uns der Agrarökologe Jörg John mit Sitz in Dakar hingewiesen, der sich seit vielen Jahren mit Umweltfragen im Senegal beschäftigt. All dies zeigt, dass die Redaktion mit Senegal ein Beispiel ausgewählt hat, das mit aller journalistischen Sorgfalt recherchiert wurde.

Ich danke Ihnen für die kritische Begleitung unserer Sendungen. In der Hoffnung, dass wir nun so weit als möglich alle Unklarheiten beseitigen konnten, möchten wir Sie bitten, das Schreiben als abschließend zu betrachten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Peter Frey

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An dieser Stelle endet also die Diskussion. Wir respektieren den Wunsch, die Korrespondenz hier enden zu lassen. Es ist in niemandes Interesse, einen unendlichen Emailaustausch zu führen; das ist nicht Sinn und Zweck unserer uAwg-Bemühungen. Wir danken Dr. Frey dafür, dass er sich der Kritik gestellt hat. Trotzdem wollen wir kurz seinen Hinweisen abschließend nachgehen.

Zunächst machen wir uns auf die Suche nach Dr. Jean Laurent Kaly „einen der renommiertesten senegalesischen Geographen“. Die Suche gestaltet sich jedoch schwierig, da er von den Literatursuchmaschinen nicht gefunden wird. Weder bei Science Direct, noch bei Researchgate ein Treffer. Auch sein Linked-in-Profil ist mit zwei Zeilen relativ kurz und beschreibt ihn als „Coodonnateur Projet ACCC“. Das war alles. „Einer der renommiertesten senegalesischen Geographen“ ohne Papers? Leider hat Dr. Frey die Literaturempfehlungsliste nicht beigefügt, zu gerne hätten wir da einmal drin gestöbert. Ähnlich verhält es sich mit den von Frau Dr. Warner empfohlenen Papers, die wir immer noch nicht kennen, trotz Nachfrage.

Auf der Webseite des Africa Adaptation Programme werden Kalys Behauptungen beschrieben, jedoch nicht wissenschaftlich belegt:

Dr Jean Laurent Kaly, a geographer and Coordinator of Coastal Climate Change Adaptation, a programme working in the Joal and Palmarin areas south of Saly, attributes the region’s coastal erosion to rising sea levels caused by global warming, with the problem exacerbated by development along Senegal’s south coast. Dr Kaly says the mushrooming of cities along the coast hinders the natural retention and absorption of rainwater. Coupled with wastewater, this increases the volume of water running into the ocean. And as the west African coastline is typically comprised of broad, sandy beaches it is more vulnerable than most to erosion.

Leider verät uns Dr. Frey auch nicht die verwendeten Studien des ‚Centre du Suivi Écologique‚. Handelt es sich um das Projekt „The West African Coast Observation Mission“? Auf der WACOM/MOLOA-Webseite findet man wenig Brauchbares. Begutachtete wissenschaftliche Studien, die die Frontal21-Sichtweise belegen würden, tauchen dort nicht auf.

Zusammenfassend muss man erkennen, dass die Frontal21-Redaktion offenbar an die falschen Ratgeber geraten sind. Anstatt Fachleute zu fragen, fiel man auf Aktivisten und Laien herein. Keine gute Basis für investigativen Journalismus, insbesondere im politisch hochsensitiven Bereich des Klimawandels.

 

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